Liebe an der Stasi- und DDR-Aufarbeitung Interessierte,
wir wollten Ihnen die Erklärung von über 40 ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern, Stasi-Auflösern und in der Aufarbeitung Engagierten übermitteln. Sie kritisiert die Pläne des Kulturausschusses des Deutschen Bundestages, die Stasi-Akten ins Bundesarchiv zu überführen und die Stasi-Unterlagenbehörde abzuwickeln bzw. in Teilen an das Bundesarchiv anzugliedern.
Unabhängig davon, wie man sich die Langzeitperspektive der Akten vorstellt, weist der Beschluss der Mehrheit aus CDU und SPD im Kulturausschuss, unterstützt von der FDP, so viele Mängel auf, dass er u.E. als Bundestagsvorlage nicht geeignet ist. Wesentliche Punkte, wie die Zukunft der wissenschaftlichen Erforschung der Stasi, die Perspektive der bisherigen 12 Außenstellen des BStU, die Rechtsstellung der Akten sind vollkommen ungeklärt. Der Antrag soll nach dem Plan der Koalition nach der Sommerpause vom gesamten Bundestag verabschiedet werden. Wir meinen, das Thema sollte noch einmal auf breiterer Basis diskutiert und fachlich abgeklopft werden.
-nach unserem Kenntnisstand ist die Behauptung durch nichts bewiesen, dass die Akten an ihren jetzigen Standorten, zumeist in den ehemaligen Bezirksstädten der DDR, archivisch nicht fachgerecht aufbewahrt werden können. Im Gegenteil wären die geplante 5-6 neuen Archiven deutlich teurer und würde einen dreistelligen Millionenbetrag an Investitionen erfordern.
-zwar behauptet der Kulturausschuss, dass alle Außenstellen erhalten bleiben sollen. Der Präsident des Bundesarchivs hat aber in einer Anhörung im Juni deutlich gesagt, dass der sich nicht vorstellen kann, in Ostdeutschland Außenstellen ohne Akten zu betreiben, die „nur“ politische Bildung machen. Diese Außenstellen (7 von 12 ) hängen also ebenso in der Luft, wie die 5 Landesaußenstellen mit Akten, für die bisher keine Investitionsmittel eingeplant sind.
-damit hängen gerade die Einrichtungen in den Orten in der Luft, wo im Dezember 1989 die Stasibesetzungen begannen und wo die Menschen bisher am meisten die Akten nachfragten.
-da die Akten rein rechtlich ein Sonderbestand sind, werden sie bis heute juristisch nicht als „normales“ Archivgut angesehen. Von daher ist es rechtlich sehr fraglich, ob sie überhaupt in ein „normales“ Endarchiv überführt werden dürfen.
-da der Bundesbeauftrage seine bisherige Forschungsabteilung brachial zu einem Archivforschungsbereich umbaut, wird die Stasiforschung, die sich mit dem Verhältnis von Stasi und Gesellschaft und auch dem Leiden der Opfer beschäftigt, faktisch kaputt gemacht. Vollkommen unverständlich ist, warum der Kulturausschuss diesen Weg unterstützt.
Die maßgeblichen Kulturausschussmitglieder meinen, dass ihre Pläne im Sinne der Opfer der DDR-Diktatur sind. Sie berufen sich auf eine Absprache mit der UOKG-Leitung. Unserer Kenntnis nach sind allerdings viele Opferverbände und deren Mitglieder über die Pläne zur Abwicklung des BStU nur unzureichend informiert oder sogar dagegen.
Wenn Sie also ähnliche Zweifel an den Plänen des Kulturausschusses haben, wie die Unterzeichner der angehängten Erklärung, mailen Sie sie an Interessierte weiter, unterzeichnen Sie sie per mail und schicken sie an den Kulturausschuss (kulturausschuss@bundestag.de ) des deutschen Bundestages und setzen uns in CC: bueko_1501_berlin2@web.de
Stellungnahme von über ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern und in der Stasi- Auflösung oder Aufarbeitung Engagierten.
3.8.2019
Martin Böttger
Hildigund Neubert
Christian Booß
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Aufruf
Geschichte lässt sich nicht abwickeln - Zum Plan der Regierungskoalition, die Stasi-Unterlagenbehörde abzuwickeln
Stand 26.6.2019
Ausgerechnet im 30. Jahr des Mauerfalls und der Friedlichen Revolution plant der Bundestag Ende September, möglicherweise am 26. oder 27., die Abwicklung der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) zu beschließen. Diese Institution gehört zu den wichtigsten Ergebnissen der Bürgerbewegungen in der DDR in den Jahren 1989/90, der vielen Runden Tische, von Demonstrationen und Besetzungen früherer Staatssicherheitsgebäude. Die Aufgabe der BStU war und ist die Sicherung der Akten und sonstigen Unterlagen der Staatssicherheit, die Einsicht für die von Stasi-Maßnahmen Betroffenen in ihre Akten und die Zurverfügungstellung der Stasi-Unterlagen für die historische Aufarbeitung und Forschung. Die Bundesregierung hingegen verfolgte schon damals den Plan, die Akten ins Bundesarchiv zu geben, um sie so unter Kontrolle zu haben. Ein Hungerstreik, Unterschriftensammlungen, Petitionen aus den Regionen und eine Resolution der frei gewählten DDR-Volkskammer verhinderten dies jedoch. Der deutsch-deutsche Einigungsvertrag sah schließlich die Sicherung der Akten in der BStU-Sonderbehörde vor.
Die Standorte in den ehemaligen Bezirksstädten (Neubrandenburg, Schwerin, Rostock, Halle, Magdeburg, Frankfurt/O, Chemnitz, Dresden, Leipzig, Suhl, Erfurt, Gera), wo couragierte Bürgerinnen und Bürger im Dezember 1989 die Stasi-Bezirksverwaltungen besetzten bzw. zu sichern halfen, sollen jetzt „umstrukturiert“ werden. Sieben Orten sollen die damals unter hohen Risiken erkämpften Akten jetzt entzogen werden. Was mit den Außenstellen insgesamt werden soll, ist vollkommen ungewiss. Obwohl unklar ist, welche Vor- und Nachteile dies mit sich bringt, wollen Bundestag und Bundesrat im Zeitraum Juni bis September dieses Jahres einen BStU-Abwicklungsplan beschließen.
Bislang wurde die Existenz der BStU-Behörde an die Geltungsdauer der Überprüfungen von Personen im öffentlichen Dienst geknüpft, die inzwischen verlängert worden ist. Politischer Hintergrund dafür war, dass diese Überprüfungen nicht Aufgabe eines Archives, sondern die einer Behörde zu sein hätten. Es ist offensichtlich widersinnig, dass man einerseits die Möglichkeit für Stasi-Überprüfungen verlängert, zugleich jedoch die BStU abwickeln will.
Würden die BStU-Akten künftig - wie geplant - im Bundesarchiv archiviert, muss befürchtet werden, dass Überprüfungsauskünfte sowie die Akteneinsicht insgesamt politischen Interessen zu folgen haben. Die Führungsspitze des Bundesarchivs als Letztentscheider besteht gegenüber der Bundesregierung aus weisungsgebundenen Beamten, während der jetzige BStU-Bundesbeauftragte unabhängig ist und nicht der Fachaufsicht und der Rechtsaufsicht eines Ressorts untersteht.
Unklar ist auch das Schicksal historischer Forschung zur Staatssicherheit. Die entsprechende BStU-Abteilung wurde inzwischen zu einer „archivwissenschaftlichen Abteilung“ umdeklariert, um die Reste dieser Abteilung für einen Übergang ins Bundesarchiv „passfähig“ zu machen. Damit ist unklar, wo die Stasi-Forschung künftig stattfinden wird. Die derzeitige historische universitäre Forschung deckt dies u.a. wegen der Komplexität des Stasi-Unterlagenbestandes und der Nichtexistenz einer Geheimdienstforschung in Deutschland bisher kaum ab.
Die Stasi-Akten haben insgesamt einen hohen Quellenwert, da sie umfangreich Auskunft über das Wirken der DDR-Geheimpolizei geben. Sie können nicht nur ehemaligen DDR-Bürgern (darunter auch jenen, die nicht direkt verfolgt wurden) helfen, ihre Biographien zu rekonstruieren und so beispielsweise festzustellen, warum ihnen Reisen aus oder in die DDR oder auch Karrierewege versperrt blieben. Diese Unterlagen sollten in einer Sonderbehörde erhalten bleiben und weiter umfassend zugänglich sein. Die Archive in den bisherigen BStU-Außenstellen wiederum sollten archivarisch modernisiert werden.
Der zuständige Kulturausschuss des Bundestages versucht derzeit, den Opfern der DDR-Repression die geplante Abwicklung der BStU-Behörde schmackhaft zu machen, indem man einen „Opferbeauftragten“ installieren will. Es ist in Ordnung, wenn die Opferverbände einen „Opferbeauftragten“ für sinnvoll halten; diese Ankündigung darf aber nicht zu einem Kuhhandel für die Abwicklung der BStU-Behörde führen.
Aufarbeitung ist auch politische Bildung, eine Ausdünnung wäre angesichts wachsender Politikmüdigkeit nicht nur in Ostdeutschland kontraproduktiv. Hinzu kommt, dass die BStU-Behörde inzwischen vor allem im ostmitteleuropäischen, aber auch im asiatischen Ausland „Blaupause“ für den Aufbau vergleichbarer oder ähnlicher Institutionen war. Bei einem Rückbau der BStU hätten junge Demokratien es dort künftig ungleich schwerer.
Anstatt sie zu zerschlagen, rufen wir zur Ertüchtigung der Stasiunterlagen-Behörde und ihrer Außenstellen auf. Geschichte lässt sich nicht abwickeln.
Unterschriften Stand Juni 2019
Thomas Auerbach, Jugenddiakon, ehem. BStU-Forschung
Pfr. Andreas Bertram, Königshain, Stellv. Vors. des Bürgerbüro. Verein zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur Berlin, ehemals Arbeitskreis Solidarische Kirche und Gründungsmitglied SDP Leipzig
Stephan Bickhardt, Leipzig, Polizeiseelsorger
Marianne Birthler, Berlin, ehem. Bundesbeauftragte
Heidi Bohley, ehem. Halle Zeit-Geschichten e.V.
Dr.Martin Böttger, Zwickau, Vors. des Martin-Luther- King-Zentrums Werdau
Andreas Bochmann, Chemnitz
Christine Burkhard, Werdau, Martin-Luther-King-Zentrum Werdau
Manfred Eulitz, Flöha
Gisela Freimark, Perleberg
Hans-Peter Freimark, Dokumentationszentrum Perleberg,
Dr. Bastian Fromm, Stockholm
Joachim Goertz, Pfarrer, Berlin (früher AKSK und SDP)
Dr. Udo Grashoff, Halle, Zeit-Geschichten e.V.
Thomas Dahnert, Berlin, Bibliotheksleiter
Christian Dietrich, Klettbach, Pfr., ehem. Landesbeauftragter Thüringen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Gilbert Furian, Autor
Gerold Hildebrand, Berlin, Mitarbeiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen
Ralf Hirsch, Berlin
Dorothea Höck, Erfurt
Eckart Hübener, Rambow, Pfarrer
Almut Ilsen, Berlin, Fotografin und Autorin
Freya Klier, Filmemacherin, Autorin
Kal-Ludwig von Klitzing, ehem. Vor. Des Runden Tisches Frankfurt/Oder
Oliver Kloss, Leipzig, IfM-Archiv
Margitta Kupler, Berlin, ehem. AG Sicherheit
Anne Kupke, Halle, Zeit-Geschichten e.V.
Uwe Lehmann, Berlin, ehem. Arbeitskreis Solidarische Kirche, Mitbegründer von Bündnis 90
Petra Morawe, Berlin, Beiratsmitglied der BStU
Carsten Müller, Werdau, stv. Vorsitzender Martin-Luther-King-Zentrum
Rainer Müller, Neues Forum Leipzig, ehemals Arbeitskreis Gerechtigkeit
Dr. Ehrhart Neubert, Pfarrer und Historiker
Hildigund Neubert, Sts a.D. und ehem. Landesbeauftragte für die Stasi-Aufarbeitung Thüringen
Rudi Pahnke, Pfr., ehem. Mitbegründer des Demokratischen Aufbruch
Christoph Polster, Cottbus, Pfarrer, Verein Aufarbeitung Cottbus e.V.
Ursula Popiolek, Berlin, Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus
Ulrike Poppe, Berlin ehemaligen Landesbauftragte für die Stasi-Aufarbeitung, Brandenburg
Frank Sonntag, Leipzig, Journalist MDR
Utz Rachowski, Reichenbach, Autor
Rüdiger Rosenthal, Berlin, freier Autor
Salli Sallmann, Berlin, Autor
Werner Schulz, ehemal. Mitglied des Europarlamentes
Holger Stark, Klein-Wangelin, Künstler
Detlef W. Stein, Berlin, Bürgerkomitee "15. Januar"
Margarita Stein, OsteuropaZentrum Berlin
Manfred Steinchen, Crimmitschau
Esther-Marie Ullmann-Goertz, Berlin
Barbara Sengewald, Erfurt, Gesellschaft für Zeitgeschichte
Matthias Sengewald, Erfurt, Gesellschaft für Zeitgeschichte
Dr. Rita Sélitrenny, Bürgerkomitee Leipzig
Rolf Schwanitz, Plauen, ehem. Volkskammer- und Bundestagsabg, Staatsmin. a.D., SPD
Susanne Wallmann, Berlin, Kulturmanagerin integral-art.de
H. Johannes Wallmann, Berlin, Komponist
Konrad Weiss, Autor
Thomas Wernicke, Potsdam
Franziska Wolf, Langenbernsdorf/Sachsen
Thilo Weichert, Kiel, Netzwerk Datenschutzexpertise