Für Freiheit und Recht: Posaunenruf zum Mauerfall

09.11.2021

Gedenkfeier des Bürgerbüro e.V. und der Stiftung Berliner Mauer zum 32. Jahrestag des Mauerfalls - Bernauer Straße/ Ackerstraße. 

Hildigund Neubert:

32 Jahre ist es schon her, dass wir diese Nacht erlebt haben. „Wahnsinn“ war damals das Schlagwort.

Wahnsinn? Die bisherige Normalität wurde durchbrochen, das bis dahin Unrealistische wurde Realität. Das kann einem die Sinne schon verwirren!

Wahnsinn? Plötzlich wurde deutlich, welch ein Irrsinn Mauer und des Grenzregime gewesen waren. 

Viele sind an diese Mauer wahnsinnig geworden.

Menschen, denen die Unfreiheit die Luft zum Atmen nahm.

Menschen, denen die Sehnsucht das Herz zerfraß.

Mauer und Stacheldraht waren das sichtbarste Symptom der wahnhaften Machtgier der SED. So war es folgerichtig, dass die Selbstmord-Rate kaum irgendwo höher war, als in der Armee.

Die Gesichter so mancher Grenzer in der Nacht vom 9.11.1989 drückten die Erleichterung über das Ende des Wahnsinns genauso aus, wie ihre Furcht vor dem Machtverlust. 

Wenn sich Grenzen öffnen, wird das Leben wieder wunderbar normal. So haben wir es erlebt.

Deswegen krampft sich mir das Herz zusammen, wenn an den Grenzen des freien Europa wieder Zäune, vielleicht sogar Mauern gebaut werden.

Haben wir wirklich keine bessere Antwort auf brutale Diktatoren?

Konnten wir die Belarussische Opposition wirklich nicht besser unterstützen?

Warum dürfen noch immer BELAVIA-Flugzeuge kreuz und quer durch Europa fliegen?

Warum finanzieren wir Diktatoren mit Öl- und Gaspipelines?

Wir wissen doch, dass es in Diktaturen keine unpolitische Wirtschaft gibt.

Warum darf sich eine Stiftung, die vor allem die Erdgasverbrennung fördert, „Stiftung für Klima und Umwelt“ nennen? Für wie dumm müssen die uns halten?

Wir haben gelernt, dass Verstrickung mit der Diktatur nicht nur deren Verbrechen möglich macht, sondern auch die Verstrickten unfrei macht und die Diktatoren stärkt. Das war am 9. November 1938 so. Das war so, wenn sich Menschen der SED und der Staatssicherheit zur Verfügung stellten.

Deswegen widme ich diesen 9. November 2021 den Menschen in Belarus und in Russland und in den vielen anderen Diktaturen dieser Welt, die für Freiheit und Recht verfolgt, inhaftiert, ermordet werden.

Hildigund Neubert, Vors. Bürgerbüro e.V. zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

 

 

Fotos: Bürgerbüro